Prosa: Eine Weihnachtsgeschichte
Ihr habt alle gewiß schon einmal
die Weihnachtsgeschichte gehört. Sie erzählt davon, daß
sich in Bethlehem die Heiligen Drei Könige beim jungen Jesus,
auch Christkind genannt, einfanden. Da ihr sie gehört habt,
muß ich sie nicht noch einmal erzählen. Erzählen möchte
ich hingegen, warum dieses Treffen beinahe daneben gegangen wäre.
Bekanntlich fing alles damit an, daß
der Staat ( in diesem Fall das Römische Reich ) Geld brauchte.
Die Begründung dafür war dieselbe wie heute: Geld für
die Soldaten, Geld für den Straßenbau, Geld für die
Schulen, Geld für die Wasserversorgung. Daß auch die
Regierung für ihre Paläste Geld brauchte, wurde damals wie
heute gerne verschwiegen. Auch die Methoden, an Geld zu kommen, waren
dieselben wie heute: die Leute sollten Steuern zahlen. Und damit die
Regierung, also Kaiser Augustus, wußte, wieviel Steuern sie
bekommen konnte, mußten sie wissen, wieviel Leute es im Reich
gab. Um das rauszukriegen, tat sie dasselbe wie heute: sie macht eine
Volkszählung. Das hieß damals zwar "die Welt
schätzen", war aber genauso unbeliebt.
Somit hätte die Weihnachtsgeschichte schon beinahe deshalb nicht geklappt, weil viele
Leute gegen diese Volkszählung waren. Sie meinten, ihre Daten
gingen den Kaiser nichts an. Im gesamten Römischen Reich waren
die Leute dagegen: die Schotten waren zu geizig, um ihre Daten
herauszugeben, die Gallier wollten das Geld - denn auch die
Zählung kostet natürlich Geld - lieber für Hinkelsteine ausgeben,
die Spanier waren zu stolz, zuzugeben, daß sie nur so wenig
Kinder hatten, die Araber stritten sich, ob sie auch ihre Zweitfrauen
angeben sollten, und die Germanen ( also unsere Vorfahren ) wollten das
Gesetz erst einmal durch das Bundesverfassungsgericht
überprüfen lassen. Da dieses aber erst später erfunden
wurden, weigerten sich die Germanen aus Prinzip. Heute redet man so
lange mit den Leuten, bis die Zählung vorbei ist; die verloren gegangenen
Daten werden geschätzt, und alles schätzen sich
glücklich, daß alles in Ordnung ist. Damals neigte
man dazu, solche Leute einfach einzusperren. Genau das tat Augustus,
die Gefängnisse waren voll, aber die Volkszählung - und
unsere Geschichte - gerettet.
Das zweite Problem lag darin, daß
zur Zählung jeder in die Stadt gehen sollte, in der er geboren
war. Genauer lag das Problem darin, daß Josef zwar aus
Bethlehem, Maria aber aus Tel Aviv stammte. Wie selbstverständlich
wollte Josef also nach Bethlehem gehen. Maria hingegen meinte, sie
sollten nach Tel Aviv ziehen; immerhin bekomme sie ein Kind und sei
somit in der Ãœberzahl. Die Sache wurde in endlos besprochen;
Josef erhielt Unterstützung durch die Tischler-Gewerkschaft,
Maria hingegen fand Halt bei der Frauenbewegung "Gegen den
Schleier-Terror". Als nach Wochen keine Einigung in Sicht, der
Termin der Zählung aber sehr nahe war, warfen sie
schließlich eine Münze. Dank einer Sonderprägung der Volksfront von
Judäa, die auf beiden Seiten den Kopf des Augustus
zeigte, gewann Josef. Jetzt stellt euch bloß vor, Maria
hätte gewonnen: dann wäre Jesus in Tel Aviv, die Könige aber in
Bethlehem gewesen. Statt einer Weihnachtsgeschichte hätten wir
dann die Akten der römischen Provinzen Judäa und Galiläa
im Streit um die Aufenthaltserlaubnis dreier ausländischer
Könige in der ehemaligen Hauptstadt. Das wäre ziemlich
langweilig. Aber dazu kam es ja nicht, da Josef und Maria den
bekannten Stall zu Bethlehem fanden.
Tja, fehlen noch die drei Könige.
Eigentlich waren es ja vier ... sie hatten ihre Königreiche
direkt nebeneinander. Außerdem waren es sehr kleine
Königreiche. Heutzutage ist jede Stadt von der Größe
Steinfurts größer als alle zusammen. Da aber die
Königreiche sehr klein waren, mußten die Könige
natürlich sparen. Das taten sie, indem sie alle den gleichen
Sterngucker beschäftigten. Montag war er bei Balthasar, Dienstag
bei Melchior, Mittwoch bei Kaspar und Donnerstag bei
Nepomuk. Die restlichen drei Tage hatte er frei. Als im Jahre 7 v.
Chr. die Sterne Jupiter und Saturn dicht beieinander standen, sahen
sie aus wie ein einziger, heller Stern. Das war sehr ungewöhnlich
und kam alle Jubeljahre einmal vor. Der Sterngucker erzählte den
Königen (jedem ganz exklusiv!), das käme nur alle
Jubeljahre vor, sei höchst ungewöhnlich und ein Zeichen dafür, daß
der König der Welt geboren werde. Sie müßten nur dem
Stern folgen, um ihn zu finden. Das fanden alle gut,
überließen das Regieren ihren Wesiren, bepackten ihre Kamele mit Geschenken und
machten sich auf die Reise.
Damit haben wir das dritte Problem: Im
Morgenland ist es tags zu heiß zum Reisen. Also reisten sie nur
Nachts. Dummerweise bewegte sich der Stern aber in der Nacht - wie
ihr selber leicht am Vollmond sehen könnt - von Nordosten
über Süden nach Nordwesten. Die Könige ritten also am Abend nach
Osten, um Mitternacht nach Süden und gegen Morgen nach Westen.
Das hatte zur Folge, daß sie nach einer durchreisten Nacht
wieder da ankamen, wo sie am Abend zuvor aufgebrochen waren -
lediglich ein paar Kilometer weiter südlich. Nach ein paar Tagen
merken sie, daß sie so nicht wirklich vorwärtskamen. Da
sie aber einerseits dem Stern folgen, andererseits aber nicht zu
spät ankommen wollten, kauften sie sich besonders schnelle Rennkamele. Die
waren schon in der antiken Kamel Trophy berühmt geworden und
wirklich pfeilschnell. Unglücklicherweise bewirkte das nur,
daß sie nun pro Nacht noch ein paar Kilometer weiter nach Süden
gelangten. Die Leute der Gegend sahen dem Treiben verwundert zu,
tippen sich vielsagend an die Stirn und nannten die Könige "Die
Eiligen Vier Könige".
So wäre aus der Weihnachtsgeschichte nichts geworden, wenn nicht in der vierzigsten
Nacht das Kamel Nepomuks sich ein Bein verknackst hätte. Nepomuk
befand, er könne nicht mehr mitziehen und übergab seinen
Weihrauch und die Myrrhe den Reisegefährten. Dann
ging er zu Fuß nach Hause, das er tatsächlich im
Morgengrauen der nächsten Nacht auch noch erreichte. Die
restlichen eiligen Könige überlegten indes, was zu tun sei.
Weil sie aber Tags über schliefen und sich fast die gesamten
Nächte stritten, konnten sie nur dann ein paar Stunden reisen,
wenn sie zu müde zum streiten waren. Es blieben also nur ein
paar Stunden am Morgen übrig, was glücklicherweise
bewirkte, daß sie fast genau nach Westen ritten. (Denn Morgens
stand, wie ihr euch erinnert, der Stern ja im Westen). Wie wir alle
wissen, ergab das genau die Route, die sie nach Bethlehem führte.
Wären sie nicht die ersten vierzig Tage nach Süden und
danach nach Westen gereist, sie wären Gott weiß wo, aber
nie beim Christkind angekommen. Aber so wurden aus den "eiligen
vier Königen" die "heiligen drei Könige",
die "Reisenden aus dem Morgenland" zu den "Weisen aus
dem Morgenland", das Treffen kam zustande, die Geschenke wurden
termingerecht, wenn auch nach kurzer, durch Brians Mutter
hervorgerufener Verzögerung übergeben und die Geschichte
war gerettet.
Aber die brauche ich nicht zu erzählen, die kennt ihr ja ...
20.12.2000