Prosa: Der Pompfpfeil

Prosa: Der Pompfpfeil

Jeder, der schon mal einen Mittelalter-Markt miterlebt hat, weiß, was ein Pompf-Pfeil ist. Wie, Ihr wißt das nicht? Also: Ein Pfeil ist ein langer, vorn angespitzter oder mit einer Spitze versehener Stab, der mit einem Bogen verschossen wird zu dem alleinigen Zweck, Zielscheiben, Tiere oder Menschen zu durchbohren. Derjenige, der ihn abschießt, sagt: "Ich war beim Bogenschießen", obwohl im Normalfall der Pfeil wegfliegt und nicht der Bogen. So weit, so gut. Ein Pompf-Pfeil soll jedoch gerade diesen Zweck des Pfeiles vermeiden - der soll eben nicht durchbohren, sondern nur treffen und erschrecken. Weil das mit einem satten "Pompf" geschieht, heißt er eben Pompf-Pfeil.
Einen Pompf-Pfeil herzustellen ist nicht allzu schwer: man nehme einen gewöhnlichen Pfeil, beraube ihn der Spitze und umwickle das nunmehr stumpfe Ende mit für das Mittelalter absolut authentischen Mitteln wie Iso-Matten, Klebeband und Kunststoffstreifen. Das ergibt ein dickes Ende von gut 10 cm Durchmesser, das dann dekorativ in Leinen gehüllt wird. Die Kunst ist einfach, ihn so zu bauen, daß er zwar gut pompft, aber auch gut fliegt.
Eine weitere besondere Eigenschaft des Pompf-Pfeiles ist, daß er für gewöhnlich nur nach Ankündigung verschossen wird. Man sagt zwar nicht unbedingt: "Vorsicht, es pompft!", pflegt aber die Geschosse nur zu Begebenheiten wie Schlachten, Belagerungen oder Diskussionen um das bessere Bier loszulassen. Da weiß die andere Seite, worauf sie sich einläßt, und kann gelassen hinter zurückgelassenen Gegenständen wie Bierfässern, Bauzäunen oder Burgmauern Schutz suchen. Manche sind mutiger, fangen die Dinger mit dem Schild auf und schießen sie zurück. ( Return of Investment ). Und sollte es einmal geschehen, daß der Pfeil einen Kämpen trifft, freut sich der, daß er den Rest der Schlacht auf dem Boden ausruhen darf.
All dies war mir natürlich vertraut, als ich eines schönen Sommertages fröhlich - und ob der Hitze nur spärlich bekleidet - zum wiederholten Male eine der Lagergassen entlang ging. Eigentlich war der Metstand mein Ziel, allerdings wurde ich immer wieder durch Einladungen ( "Kannst Du was für uns spielen?" ) oder Einblicke ( "Ist ein Leder-Bustier eigentlich A?" ) abgelenkt. Fast schon hatte ich mein Ziel erreicht, als mit dem bewußten "Pompf" etwas meinen lederbewehrten Rücken traf und mich stolpern ließ. Als UNIX-Anwender brauchte ich nur kurze Zeit für das Wieder-In-Die-Stiefel kommen, vulgo auch "Reboot" genannt. Aber auch diese Zeit war zu lang, denn als ich mich wieder aufgerappelt hatte, lag zwar das Corpus Delicti vor mir, vom Schützen war allerdings nichts mehr zu sehen. Leicht benommen und etwas angesäuert blickte ich auf den Pfeil.
"Suchst Du was?" fragte da überflüssigerweise eine Vollkette aus dem Lager zur Linken.
"Nein, ich suche wen. Das was habe ich ja". Damit hielt ich den Pompf-Pfeil hoch und rieb mir demonstrativ den Rücken.
"Laß mal sehen". Die Vollkette kam rasselnd näher und blieb schließlich schnaufend vor mir stehen. Die ausgestreckte Hand übersehend, drehte ich den Pfeil vor ihr hin und her. Vollkette betrachtete ihn eingehend.
"Also, von mir isser nicht. Meine Pfeile sind viel eleganter. Weißt Du, da muß man ..."
Es gibt Zeitgenossen, die nur schwer zu stoppen sind, wenn ihr Redefluß erst mal in Gang kommt, und Vollkette gehörte dazu. So schaltete ich meine Ohren auf Durchzug und suchte die Lagergasse in der Richtung ab, aus der der Pfeil gekommen sein mußte. Offenbar hatte die Geschichte schon die Runde gemacht, denn jemand untersuchte den Boden in niedrigster Gangart. Wie gut, daß die Alten sich auf Spurensuche verstanden! Ich ließ Vollkette stehen und begab mich zu dem Fährtenleser.
"Na, schon eine Spur?"
Als Antwort hielt eine verschmutzte Hand eine mit wenigen Silberlingen gefüllte Schale hoch.
"Ein Almosen, Herr! Habt Erbarmen mit mir Elendem, Herr! Schenkt mir ein wenig Geld, Herr! Helft mir und meiner Familie, Herr!"
"Hör mal zu", sagte ich und ließ einen Euro in die Schale fallen, "Du kannst noch mehr davon bekommen, wenn Du mir sagst, wem der Pfeil hier gehört."
Hinter mir rasselte es. "Ein ziemlich schludrig gefertigter Pfeil, wenn ihr mich fragt. Also, meine Pfeile sind da viel eleganter, wißt ihr."
"Almosen, ihr Herren! Nein, ich weiß nicht! Nil a fhios agam! I don't know! Schöner Pfeil! Almosen, ihr Herren! Have mercy on me!"
Hilfesuchend sah ich mich um und bemerkte eine hübsche Maid, die aus der Schußrichtung kam. Ich wandte mich an sie und hob ihr den Pfeil entgegen.
"Edle Frowe, könnt ihr mir helfen?"
Ihr Gewand raschelte auf das Entzückendste, als sie sich zu mir wandte. Abschätzend glitten ihre Augen an mir herab.
"Aber natürlich!" gurrte sie und wedelte dekorativ mit ihrem gelben Schleier. "Kommt drauf an, was Ihr ausgeben wollt!"
Verflixt aber auch! "Nein, ich will nur wissen, wem dieser Pfeil hier gehört!"
Diesmal rasselte es seitlich von mir.
"Almosen, edle Frowe! Habt Erbarmen, ihr Herren!" kam der Bettler zuvor und blickte anschließend stumm und verwundert auf das Aspirin, das auf unerklärliche Weise seinen Weg aus dem Ausschnitt in die Schale gefunden hatte. Ich nutzte die Pause, um mein Anliegen genauer zu erklären. Just in dem Augenblick, als Frowe zu einer Antwort anhub, beschwerte sich der Bettler lauthals über diese unwürdige Gabe. Vollkette pflichtete ihm ebenso lautstark bei. Das hatte leider zur Folge, daß unsere Gruppe mehr Aufmerksamkeit erregte, als mir lieb war. Als erster kam Achmed, der Händler hinzu. Eifrig suchte er in seinem Bauchladen.
"Oh, ich sehe, ihr braucht Pfeile! Wartet einen Moment, ich habe gar herrliche Geschosse bei mir! Kosten nur 10 der Silberlinge das Stück! Dabei treibe ich mich selbst in den ..."
"Hör zu, Achmed, ich brauche keine Pfeile, ich will wissen, wer den hier gemacht hat! Könnt ihr mir da helfen? Ihr kennt doch alle Krieger im Lager besser, als ihnen lieb ist!"
Achmed schaute bekümmert. "Nein, ich weiß es nicht. Jammerschade! Denn dem, der ihn gebaut hat, könnte ich sicherlich ein Dutzend von 'Schnappers-Besten-Pompfen' verkaufen, denn dieser Pfeil ... "
Rassel. "Ist schlampig gemacht, wie ich schon sagte. Meine hingegen ..."
Ich wartete auf den Einwurf des Bettlers, sah allerdings zu meinem Erstaunen, wie er aufrecht und die Hand zärtlich um das Mieder geschmiegt in einem Zelt verschwand. Während Achmed und Vollkette neben mir über Pfeile diskutierten, hörte ich aus dem Zelt seltsame Geräusche. Es klang, als ob - aber es war nur der Sackpfeifer, der aus Versehen die Mittagsruhe gestört hatte. Neugierig gesellte er sich zu uns. Nach einigem Hin und Her, Angeboten und diversem Gerassel hatte er begriffen.
"Nein, weiß ich auch nicht. Ich bin Barde und kein Krieger. Aber ich werde eine Moritat über einen einsamen Pfeil dichten, Etwa so:" und hob die Sackpfeife. Da ich wußte, was nun geschehen würde, duckte ich mich mitsamt dem Pfeil, und richtig, mit sattem "Pompf" landete ein ausgestopfter Strickfisch auf dem Sackpfeifer. Sein lauthals vorgebrachter Protest bewirkte, daß ich mich im nächsten Augenblick heftig gegen eine grün gekleidete, recht resolute Frau im Rotem Kreuz auf der Haube zur Wehr setzen mußte, die versuchte, mir meinen Arm zu verbinden und sich dabei abfällig über die Sani-Orga in dem Lager äußerte.
"Aber ich bin nicht verletzt! Ich wurde nur von diesem Pompf-Pfeil getroffen! Und will wissen, wem er gehört!"
Rassel. "Ein Skandal, daß solch schlechte Pfeile verschossen werden. Meine hätten ihn nur gestreichelt!"
"Mullbinden, im Dutzend 10 % billiger! Dabei treibe ich mich selbst ..." Der Rest erstickte unter einem rasch angelegten Kieferverband. Ein Herr mittleren Alters ( für Lateiner: Media aetatis ) klinkte sich in die Diskussion ein und begehrte zu wissen, wer da mit Fischen um sich würfe. Da er von einem halben Schock mit durchaus nicht bepompften Speeren und anderen Schlaginstrumenten bewehrter Herrn unterstützt wurde, beeilte ich mich, die Sache zu erklären. Leider ging meine Stimme in vielstimmigem Gerassel unter, denn just nun kamen einige Ritter vom Turnier und meinten, Vollkette helfen zu müssen. Um ein Haar wäre mein Pfeil in dem sich entspinnenden Handgemenge zu Bruch gegangen, als einige Kilt-Träger hinzugeeilt kamen und die saubere Schlachtordnung durcheinander brachten, indem sie - da sie sich nicht einigen konnten, auf wessen Seite zu kämpfen wäre - kurzerhand auf alle gleichzeitig losgingen, so daß für einen Moment eine kleine Gasse entstand. Entschlossen nutzte ich sie zum Rückzug. Ich sah noch, wie eine rotgefärbte Lady mit Lederkleidung, ausladenden Gebärden und ebensolcher Oberweite sich mit heftigen Bemerkungen über die mangelnde Tradition der Beteiligten in das Gemenge stürzte, bis ich Zuflucht unter dem weiten Rock der etwas zerzaust aus dem Zelt auftauchenden Gelben Dame fand. Eine Weile hörte ich mir den Lärm an, streichelte ab und zu den Pfeil und bekam noch mit, wie auch eine Horde Wikinger sich an der Diskussion beteiligte. Plötzlich jedoch erschallten Hornstöße, und eine gebieterische Stimme befahl: "Aufhören! Der Markvogt kommt!" Der Lärm legte sich. Vorsichtig spähte ich unter dem Rock hervor und sah ein Durcheinander von Methörnern, Mullbinden, zerfetzten Kilts und staubgebadeter Brünnen vor mir. Streng blickte der Markvogt, den Steinmeißel noch in der Hand, umher.
"Was geht hier vor? Erklärt es mir!"
Schüchtern stand ich auf und hob den Pompf-Pfeil empor. Vorsichtshalber versetzte ich der am Boden liegenden Vollkette einen Tritt, bevor ich zu sprechen anhub - allein, der Vogt kam mir mit zorngeschwellten Adern auf der Stirn zuvor.
"Du bist also derjenige, der meine Pfeile entwendet hat! Packt ihn, und an den Pranger mit ihm!"
Rassel. "Aber er hat doch gar nicht ..."
"Daf ift ficher. Jemand hat auf ihn gefoffen."
"Almosen, hoher Herr! Habt Erbarmen nicht nur mit mir!"
Es half nichts, die Wache schleppte mich zum Pranger, der gemeinerweise auch noch neben dem Metstand stand. Schon wurde das Schandeisen hochgeklappt, als ein Jüngling im Robin-Hood-Gewand auf mich zukam und mir den Pfeil abnahm. Befriedigt sah er ihn an.
"Ah, da ist er ja. Danke, daß Du ihn für mich aufgelesen hast. Muß mir vorhin beim Üben ein wenig zu weit geflogen sein. Ach, kommst Du nachher und spielt ein bißchen? Gehabt euch wohl!" Damit und mit einer eleganten Verbeugung verschwand er wieder. Der Vogt klappte erst seinen Mund und dann das Schandeisen unverrichteter Dinge wieder zu, klopfte mir betont besorgt den Staub von Wams und Kilt und bestellte eine Runde Met. Verdutzt stand der ganze Haufe am Tresen und schaute mit gefülltem Becher auf den Markvogt. Schließlich räusperte ich mich.
"Marktvogt, hättet ihr die Güte, uns zu erklären,was das bedeutet?!"
Sein betretenes Gesicht hellte sich langsam auf, bis er zu lachen anfing und gar nicht mehr aufhören wollte.
"Das", prustete er und versuchte einen Schluck, "war mein Sohn. Ist zum ersten Mal auf nem Markt und weiß noch nicht so wie ihr, wie man sich gesittet benimmt!"

Der Pompf-Pfeil ( ich erbat ihn mir später ) begleitet mich seither auf allen Märkten. Vielleicht brauche ich ihn ja einmal, und sei es für die Hübscherin ...

21.06.2000

Zum ersten Mal erzählt beim Bardenwettstreit zu Herzberg 2001

Pompfpfeil