Prosa: Die drei Trinker

Prosa: Die drei Trinker

Irland, so sagt man, ist eines der Länder, in denen die Göttin uns noch nahe ist. So spielt denn diese Geschichte in Irland, irgendwo in einem kleinen Landstädtchen. Dort wohnte einst ein Mann, der die Göttin für groß und gerecht hielt, häufig mit ihr redete und sie eine gute Frau sein ließ. Dieser Mann hatte sich nun mit seinem Freund zu einem Treffen verabredet. Und wo trifft man Freunde lieber als in einer Kneipe? So begab sich unser Mann zur gegebenen Stunde in den örtlichen Pub und bestellte ein Guinness. Als um die verabredete Zeit sein Freund noch nicht da und sein Glas wieder leer war, bestellte er sich noch ein Bier - und für den Freund eines mit. Kaum waren die Gläser auf dem Tresen und bezahlt, erschien besagter Freund und wurde herzlich begrüßt.

"Tag, Sean, schön, daß Du doch noch kommst. Hier, ich habe Dir schon ein Guinness bestellt."

Der andere erwiderte den Gruß und sah nachdenklich auf das Glas.

"Aber Pól, Du weißt doch, ich trinke nur Heineken. Wieso bestellst Du mir dann ein Guinness?"

Pól kratzte sich verlegen den Kopf.
"Oh, das habe ich vergessen. Na, stell Dich nicht so an und trink' es aus. Sláinte!"

Sean weigerte sich.
"Trink' ich nicht. Du hast das nicht vergessen, sondern bestimmt mit Absicht gemacht."

"Mit Absicht? So ein Blödsinn! Ich hab' einfach nicht dran gedacht, daß Du nur Heineken trinken magst."

"Genau, und Guinness kommt nicht über meine Kehle. Also bestell ein Heineken."

Langsam geriet Pól in Fahrt.
"Tu' ich nicht. Bestell' Dir Dein Heineken doch selber, wenn Du das da verschmähst. Du stellst Dich aber echt bescheuert an."

Eh die zwei sich versahen, ergab ein Wort das andere, eine Pöbelei folgte der nächsten, und in kurzer Zeit gingen die zwei Freunde von verbalen zu tätlichen Raufereien über. Sie schütteten sich das Bier über den Kopf, versetzten sich knallende Kinnhaken, gaben sich mit Biergläsern Ohrfeigen, und was man noch so in Kneipenschlägereien zu tun pflegt.

Ein unbeteiligter Mann, der sich bisher auf dem Streit heraus und am Bierglas festgehalten hatte, versuchte den Streit zu schlichten und fiel den beiden in den Arm. Wie es Streithähne nun so an sich haben, fachte das deren Streitlust nur noch mehr an; das Ende vom Lied war, daß drei Männer schwer verletzt auf dem Boden lagen.
Nun ist, wie gesagt, Irland der Göttin noch sehr verbunden. So kam es, daß alle drei, bevor sie nach ihrem Tod auf ein neues Leben warteten, vor ihrer Göttin erscheinen mußten. Allerliebst sahen sie aus, noch bierbeschäumt und mit Schmarren und Wunden. Mit einer kleinen Zornesfalte zwischen den Augenbrauen sah die Göttin sie an.

"Was wollt ihr denn hier? Ihr hattet noch ein paar Jahre. Erzählt, was ist geschehen?"

Die drei drucksten herum, und dann fing Pól an.
"Ich habe in meinem Pub auf Sean gewartet. Als er nicht kam, habe ich ihm schon mal ein Guinness bestellt. Das wollte er aber nicht, und hat mir unterstellt, daß ich ihn absichtlich nicht mit Heineken bedient habe. Ja, und so sind wir in die Rauferei gekommen."

"Und du?"

"Ich hatte mich mit Pól verabredet und bin ein bißchen zu spät gekommen. Und, stell Dir vor, als ich ankomme, steht da ein Glas Guinness für mich da! Dabei weiß er ganz genau, daß ich nur Heineken trinke. Und als er kein anderes Bier bestellen wollte, sind wir in Streit geraten. Ja, und der letzte Bierkrug, der auf meinem Kopf zerbrach, war einer zuviel."

"Und ich habe einfach versucht, die beiden zu trennen. Ist mir aber nicht geglückt." Damit rülpste der Dritte noch einmal herzhaft.

Nachdenklich sah die Göttin die drei Trinker an.
"Ihr wart doch ziemlich betrunken. Sagt mir, warum besauft ihr euch so?"

Pól zuckte die Schultern.
"Du weißt, große Göttin, wie beschissen das Leben da unten ist. Und wenn ich richtig schön voll bin, dann fühle ich mich dem Alltag entrückt und Dir ein bißchen näher. Und dann, wenn ich Deine Gegenwart spüre, ertrage ich das Leben wieder eine Weile."

Sean nickte.
"Ich bin nicht sehr begabt, und der einzige Weg, die Sperre in meinem Hirn wegzukriegen, die mich von Dir trennt, ist das Saufen. Dann fühle ich mich einfach näher bei Dir."

Somit sah die Göttin den dritten an.
"Und Du? warum trinkst Du?"

"Das Leben ist beschissen da unten. Wenn ich trinke, vergeß' ich den ganzen Scheiß. Dann fühle ich mich wenigstens ein paar Stunden leichter."

Die Göttin dachte ein Weilchen nach, und ein Lächeln stahl sich um ihre Lippen. Dann wandte sich sich den beiden Streithähnen zu.

"Ihr zwei habt also getrunken, damit ihr näher bei mir seien konntet. Nun, das habt ihr ja erreicht. Ich stelle euch vor die Wahl: entweder erkennt ihr, daß auch das andere Bier ein Weg zu mir ist, und dann dürft ihr in eurem letzten Leben weiterleben - oder ich laß euch in einem hochchristlichen Land wieder auf die Welt kommen." -

So kam es, daß man in der Kneipe zwei stockbetrunkene, aber noch lebende Männer und eine Leiche vom Fußboden aufhob.

(Zuerst erzählt bei der Pentagrammsitzung zu Lugnasadh 1995)