Prosa: Die Schwanenharfe

Prosa: Die Schwanenharfe

Zu einer Zeit, da das Wünschen noch geholfen hat, lebte in Irland ein Geschwisterpaar, die hatten einander herzlich lieb. Jeden Tag nach der Arbeit am Hof saßen sie am Torffeuer zusammen und sangen und spielten.

Eines Tages sagte Máire "Lieber Patrick, ich gehe eben ins Moor, Torf holen; denn wir haben keine Vorräte mehr". Sie nahm ihren Korb und ging den gewohnten Weg. Als sie am Abend noch nicht zurück war, sorgte sich ihr Bruder und ging sie suchen. Aber er fand im Moor nur ihren leeren Korb und sonst nichts.

Da nahm Patrick seine Harfe und machte sich auf die Suche. Durch viele Gebiete Irlands kam er, und auf jedem Hügel blieb er stehen und spielte auf seiner Harfe die Lieblingsmelodie von Máire. Aber nie hörte er eine Antwort. Er fragte auch in jedem Dorf nach ihr, aber niemand hatte sie gesehen.

Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate und aus Monaten ein Jahr. Da kam er an einen Wald, in dem er die Nacht verbringen wollte. Als er am Feuer saß und die Melodie spielt, hörte er von ferne eine Stimme die Antwort singen. Er ging dem Tone nach und fand auf einer Lichtung ein Haus, in dem saß seine Schwester. Er freute sich sehr, sie zu sehen, aber sie sagte traurig: "Ich werde von einem Zauberer gefangen gehalten, und kann nicht heraus. Nur die Musik auf einer Harfe, die keine Harfe ist, kann mich erlösen. Das hat mir der kluge Lachs im Fluß dort gesagt." Da antwortete Patrick: "Ich habe so lange gesucht, Dich zu finden, da werde ich auch die Harfe finden, die keine Harfe ist."

So machte er sich abermals auf den Weg, und jeden Monat kehrte er heimlich zur Hütte zurück, wo seine Schwester lebte. Wo auch immer er fragte, niemand wußte die Harfe zu beschreiben. Sieben Monate waren ins Land gegangen, als er in einem Gasthaus einen alten Harfner fand. Der hörte sich die Geschichte an und sagte: "Ich kann Dir helfen. Geh zum See, der Lough Neagh genannt wird, und frag die Schwäne, die dort leben. Sie können dir helfen." Unverzüglich brach Patrick auf, fand den See und die Schwäne und bat sie um Hilfe. "Wir helfen Dir gerne", sagte der größte und schönste der sieben Schwäne, "wenn Du uns jeden Abend vorspielst. Dann wollen wir Dir jedes Vierteljahr jeder eine der schönsten Federn geben. Bewahre sie auf und bewahre Geduld!" Patrick fügte sich, und so blieb er ein ganzes Jahr bei den Schwänen, bis er 28 wunderschöne Federn gesammelt hatte. Die Schwäne führten ihn in das Schilf, und ganz tief darinnen fand Patrick die Knochen eines großen Schwans. "Zu Samhain nimm die Knochen und die Federn", sangen da die Schwäne, "und baue Dir eine Harfe. Sie wird den Zauber brechen!"

Patrick bedankte sich bei den Tieren und tat, wie ihm geheißen. In der Nacht zu Samhain machte er sich an die Arbeit und im Handumdrehen entstand eine Harfe, die verströmte wunderbaren Schwanengesang. Freudig lief er zu dem Wald, in dem seine Schwester gefangen gehalten wurde, und spielte ihr Lied. Mit jedem Ton verschwand ein Ziegel, mit jeder Pause ein Stück Dach, bis schließlich das ganze Haus verschwunden war. Da trat Máire auf ihn zu, umarmte ihn und rief: "Nun bin ich erlöst, und wir wollen freudig nach Hause gehen!" Als sie das rief, rauschte über ihnen die Luft, und die Schwäne zogen über sie hinweg. "Auch uns hast Du erlöst", schrien sie. "Geh und hilf auch anderen!"

So zogen Patrick und Máire durch Irland, spielten die Harfe, die keine Harfe war, und sangen dazu, und ihre Musik half vielen Menschen, frei zu werden. Und wer heute in Irland genau hinhört, hört sie im Wind immer noch.

© 2008 Fionn Ruadh
Geschrieben für den Kinder-Harfenkurs auf dem Harfentreffen Lauterbach 2008