Prosa: Irland
Man könnte mich einen Irland-Fan nennen. Dabei bin ich gar nicht gerne
ein "Fan". Erstens der Mehrdeuigkeit - Anhänger oder Ventilator -
wegen, zweitens, weil "Fan" als Anhänger etwas mit Fanatismus zu
tun hat - und damit möchte ich nichts zu tun haben.
Also eher ein Irland-Freund. Kann
man ein Land zum Freunde haben? Was ist das überhaupt, ein Land?
Ein Staat ist wohldefiniert: er braucht Staatsgebiet, Staatsvolk und
Staatsgewalt. Ein Land im politischen - föderalen - Sinn ist eine
Untereinheit eines Staates. Vielleicht mag hier gelten: Irland als Land
ist alles, was die Insel und ihre Inselchen umfassen: die Landschaften,
die Pflanzen, Tiere, Menschen, Städte, Gebäude, Wind und
Wolken, Licht und Schatten, Stimmen und Stimmungen, jetzt und gestern.
Und ein
Freund? Vielleicht so: jemand, auf den man sich freut, mit dem man
gerne zusammen ist, der verläßlich da ist, wenn man ihn
braucht, den man gut kennt und der doch immer wieder neue Eigenheiten
zeigt, der verzeiht und dem man gerne verzeiht.
Unter diesen Prämissen bin
ich ein Irland-Freund. Die Insel ist stets da, wenn ich sie brauche,
was neuerdings immer häufiger vorkommt; ob per Schiff oder Auto
oder Flugzeug, in ein paar Stunden bin ich da. Ich kenne sie inzwischen
gut, "meine Insel" ( Stephen in "Braveheart" ). Ich kenne ihren
Sonnenschein, ihren Nebel, den Regen, der Rhododendron-Hecken wie
frisch gewaschen aussehen läßt. Oft bin ich im Niesel
spazieren gegangen, bis vom nie ganz fernen Meer eine Brise klare Luft
herbeitrug. Ich habe oft die Klippen heruntergeschaut oder mich durch
enge Stadtstraßen gequetscht. Habe brav im Auto gewartet, bis die
Schafherde auf der Weide und der Schäfer mit dem Schwatz fertig
war. Bin von Nord nach Süd, von West nach Ost durch die Counties
gezogen, habe Steinkreise und Ringforts, Normannenfestungen und
Kirchen, Friedhöfe und Pubs besucht, bin in Mooren fast versunken
und in Kneipen versoffen, habe die stillen Weiten der Hochebenen ebenso
genossen wie den Trubel der Städte, die Ausgelassenheit der Jugend
ebenso wie die ruhige Würde der Alten, seien es Menschen,
Stätten oder Bäume. Ich habe mit neuesten Medien Irland
erkundet und in uralten Ringsteinen Vergangenheit gespürt. Habe
bei so vielen Leuten gewohnt und mit ihnen geschwatzt und war mir immer
sicher: ich werde zur rechten Zeit am rechten Ort bei den rechten
Leuten sein. Morgens früh mit Dagmar im Drombeg-Steinkreis.
Mitternachts mit Anika und Bernd am Loch Gur. Mit den Kindern im alten
Megalith-Grab genau dann, wenn's draußen regnet. In Letterkenny
im B&B, wo Bean an Tí doch noch einen Platz hatte ( "Du bist
Deutscher? Oh, dann muß ich Dir helfen!" ). In Fionnachaid, als
das Straßen- und Musikfest tobt. Auf dem Knock na Rae, um Maebh
von Connacht zwei Steine zu bringen, von denen einer plötzlich
verschwindet. Und wenn es wirklich mal nicht klappte mit dem B&B,
wenn Parkgebühren schreckten ( und das Harfespiel sie gleich
wieder einspielte ), wenn "open early May" offenbar der 30.05. war,
wenn Gärten zu klein oder Wege sehr lang waren, stets gab es kurz
darauf einen Ausgleich. Wenn ich selbst mal doch auf der falschen Seite
fuhr, mit Pfund und Pence nicht zurecht kam oder mein Englisch nicht
ausreichte: Hilfe gab es immer.
Seit 17 Jahren besuche ich "mein Land", von Tages- Stipvisiten bis zu
mehrwöchigem Urlaub, alleine, zu zweit, mit Familie. Ich habe die
Entwicklung gesehen, habe Ansprüche und Benzinpreise steigen und
die Armut fallen sehen, kenne Dowth als Spaziergangs-Ziel und als
abgeschotteten Ausgrabungsplatz und die Roundabouts von Derry und
Bantry, von Galway und Dublin; die Piers von Dun Loghaire und Rosslare
sind mir vertraut wie die Runways von Dublin und Shannon. Das Ringfort
im Doon-Lake habe ich gesehen und das in Sneem; die Klippen von Moher
und unbenannte in Donegal; hab zu den Wachtürmen von Malin und
Kinsale hinauf- und von den Türmen von Blarney oder Cashel
herabgesehen. Und ich bin mir sicher: das nächste Mal ist alles
anders. Ich werde einem Schild folgen und etwas unerwartet Schönes
finden, werde Menschen treffen und mit ihnen reden, werde Musik machen,
die Ausblicke und Augenblicke genießen - und doch wird sich,
sobald ich wieder daheim bin, die Sehnsucht nach diesem Land wieder
einstellen. Ich muß es wiedersehen.
"Wenn Du einen Freund hast, geh den Weg zu ihm oft; er wächst sonst zu.
( aus der "Edda" )
23.02.2005