Grundbegriffe der Astronomie

- eine Folge kleiner (P)Artikel

3. Wie laufen sie denn?

In der vorigen Folge hatte ich zwei Koordinatensysteme zur Beschreibung der Bewegung von Himmelskörpern vorgestellt und mit der Frage nach dem Nullpunkt des Äquatorsystems den Artikel abgeschlossen. Hier nun geht es weiter.

Ausgangspunkt für unsere Überlegungen ist noch einmal die Erdrotation (siehe 2.1). Die annähernd kugelförmige Erde dreht sich um eine Achse, die (fast) durch ihren Mittelpunkt geht. Nun haben alle Kreisel - und um einen solchen, wen auch großen, handelt es sich bei der Erde - eine gewisse Hartnäckigkeit: sie weigern sich, die Lage ihrer Rotationsachse zu verändern. Wenn wir nicht massiv Kräfte auf einen Kreisel einwirken lassen, zeigt seine Rotationsachse immer in die gleiche Richtung. Die Ebene, auf der diese Achse senkrecht steht, ist somit im Raum eindeutig festgelegt - es ist die Äquatorebene.

Eine weitere, im Raum feststehende Ebene kennen wir aus den Betrachtungen 2.2 - die Ebene des Umlaufes der Erde um die Sonne oder Ekliptik. Und nun kommt etwas Entscheidendes in Spiel.

3.1 Erde mit Schlag.

Die Rotationsachse der Erde steht nicht senkrecht zur Ekliptik; sie ist um den Winkel von z.Zt. 23,4 ° gegen die Ekliptik geneigt. Somit fallen Ekliptik und Äquatorebene nicht zusammen, sondern bilden miteinander eben diesen Winkel von 23,4 °. Denken wir uns nun, daß beide Ebenen und ihre Schnittgerade durch die Erde gehen; von dort aus gesehen gibt es zwei Richtungen, in denen ein Stern sowohl in der Ekliptik als auch in der Äquatorebene steht; diese Richtungen heißen Frühlingspunkt und Herbstpunkt. (Siehe Fig. 4).


Bezugspunkt für das Äquatorsystem ist nun der Frühlingspunkt; dort steht die Sonne zu Beginn des Frühlings, wenn sie also von der Süd- zur Nordhalbkugel des Äquatorsystems wechselt. Der Frühlingspunkt hat die Rektaszension 0 und die Deklination 0.

Somit verfügen wir nun über ein eindeutiges Bezugssystem, mit dessen Hilfe wir uns über das Geschehen am Himmel verständigen können. Probieren wir's gleich aus. Dazu sei noch gesagt, daß die Rektaszension von 0 bis 24 h gezählt wird - eine Stunde entspricht also 15 °.

3.2 Ich sehe Sterne ...

Der Frühlingspunkt hat die Koordinaten 0h / 0°. Dort steht zum Frühlingsanfang die Sonne. Sterne in seiner Nähe sind also zum Frühlingsanfang nicht sichtbar - die Sonne überstrahlt sie; dafür kann man sie im Herbst des Nachts bewundern.

Mein Lieblingssternbild, der Orion, liegt um 6h / 0° herum - somit ist es im Winter gut zu sehen. Ein Stern mit den Koordinaten 12h / 0° liegt im Herbstpunkt. Er ist also im Frühling sehr gut sichtbar - praktisch die ganze Nacht durch.

Ein typisches Sommersternbild, der Skorpion, liegt bei ca. 16h 30m / -25°, ist also um den Juli herum sichtbar, sofern die Nächte überhaupt dunkel genug sind und heid nicht Besseres zu tun hat, als in den Himmel zu schauen.

Hat ein Stern die Deklination 90°, so steht er in Verlängerung der Erdachse - und ist damit in unseren Breiten das ganze Jahr über sichtbar (Nacht und wolkenloser Himmel vorausgesetzt). Das ist in guter Näherung für Polaris, den Nordstern, der Fall.

So weit, so gut. Wie hoch aber steht ein solcher Stern nun über dem Horizont? Dazu ein Blick auf die Figur 4a. Sie zeigt die Berechnung des Sonnenstandes zur Mittagszeit für den Sommer- und den Winterpunkt.

Aufgezeichnet ist hier die Ekliptik und die Erde samt - schrägstehender - Erdachse. Als Beispiel habe ich wieder meinen Wohnort in der Nähe von Münster mit der Breite 52° gewählt.

3.3 Up Bel!


Steht die Sonne nun im Sommerpunkt ( linkes Halbbild), so beträgt die Höhe a über dem Horizont

90° - (50° - 23,4°) = 113,4° - 50° = 63,4°.

Da, wie bekannt, 90° direkt über mir ist, steht die Sonne also zu 2/3 Höhe am Himmel.

Im Winterpunkt beträgt die Höhe b über dem Horizont

90° - (50° + 23,4°) = 66,6° - 50° = 16,6°.

Das ist etwa eine Handspannenhöhe über dem Horizont, ausgestreckten Arm vorausgesetzt, und nicht gerade viel.

Sehen wir und die Formeln - deren Ableitung ich hier nicht betreibe - noch einmal an. Es erscheinen die Werte 90° (der rechte Winkel), 50° (die Breite meines Wohnortes) und 23,4° (die Schiefe der Ekliptik). Da die Schiefe der Ekliptik konstant ist, habe ich die Formeln noch einmal zusammengefaßt, so daß nur noch die Breite des Wohnortes eingeht. Sobald in der Berechnung des Wintersonnenstandes die Breite größer als 66,6 ° ist, wird der Endwert negativ - die Sonne steht überhaupt nicht mehr über dem Horizont, sie geht den ganzen Tag nicht auf- das ist die berühmte Polarnacht. Entsprechend leicht kann hex ausrechnen, daß es für Orte mit einer Breite > 66,6° Tage gibt, an denen die Sonne überhaupt nicht untergeht - es wird einfach nicht Nacht.


In Figur 5 ist noch etwas anderes dargestellt - ein Paket Sonnenstrahlen, die unter unterschiedlichen Winkeln auf die Erde treffen. Es ist klar, daß die Sonnenstrahlen, die unter kleinerem Winkel auftreffen, eine größere Fläche beleuchten als steil einfallende Sonnenstrahlen - die Energie pro Fläche, die von der Sonne kommt, ist im Winter kleiner als im Sommer. Daher gibt es überhaupt den Unterschied zwischen Winter und Sommer und den Wechsel der Jahreszeiten. In Winter sind nicht nur die Tage wegen der tiefstehenden Sonne kürzer, unser Gestirn liefert auch pro Fläche weniger Wärme - es wird kalt.

3.4 Return to the Pagans

Damit können wir einen Sprung weg von der Astronomie in unsere Religion wagen. Wie sähen die Vorstellungen der Erde und ihrer Götter wohl aus, wenn es den Gegensatz zwischen Sommer und Winter nicht gäbe? Ich jedenfalls stelle es mir reichlich trostlos vor, auf einer Welt zu leben, deren Achse senkrecht auf der Ekliptik steht - jeder Tag gleich lang, keine Jahreszeiten, kein Warten auf den Frühling, nicht die Erleichterung, endlich die ersten Blumen zu sehen, kein Samhain, kein Bealtaine. Also, für mich ist Erde mit Schlag schon was feines.

Weiter zur nächsten Folge: Guter Mond ...

Zurück zur zweiten Folge - Die Sicht der Dinge